Wie viel CO₂ speichern Seegraswiesen? | Klima
- Anastasia Michailova
- vor 16 Stunden
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Seegras ist ein Alleskönner: Es ist Lebensraum, Nahrung, Kinderstube, Erosionsschutz, Wasserfilter und Kohlenstoffsenke zugleich! Die marine Wasserpflanze wurde als Klimaschutz-Helfer bisher stark unterschätzt. Aber wie viel CO₂ speichern Seegraswiesen wirklich? Das sagt die Forschung!

Was sind Seegraswiesen?
Seegraswiesen sind marine Blütenpflanzen, die auf dem Meeresgrund und auf Wattflächen wachsen. Sie gedeihen in nördlichen und südlichen gemäßigten Klimazonen – z. B. in der Ostsee und im Mittelmeer. Es gibt verschiedene Arten von Seegräsern. Sie bevorzugen sandigen Boden und Schlick.
Seegraswiesen sind wahre Hotspots der Artenvielfalt und gehören zu den wichtigsten Lebensräumen des Meeres. Darüber hinaus sind sie bedeutende Laich- und Aufwuchsgebiete. Mitten im Seegras fühlen sich zahlreiche Lebewesen wohl, darunter verschiedene Arten von Fischen, Schnecken, Muscheln, Seesternen, Seeigeln, Moostierchen und Krebstieren. Außerdem schützen diese Wasserpflanzen den Meeresboden vor Erosion und arbeiten nebenbei wie ein „Biofilter“, der Krankheitserreger im Wasser reduziert und Trüb- bzw. Schadstoffe herausholt. Seegräser sind obendrein Nahrung für viele Tiere. Für einige Schildkröten und Meeressäuger (z. B. Seekühe) sind sie sogar die Hauptnahrungsquelle. Im Wattenmeer ernähren sich auch Vögel von diesen Meerespflanzen.
Seegräser: Ein paar unglaubliche Zahlen
Seegras bedeckt etwa 0,2 Prozent des gesamten Meeresbodens.
Bisher wurden jedoch nur etwa 20 Prozent der Seegraswiesen untersucht und kartiert.
Seegräser können mehrere Jahrhunderte alt werden – das sogenannte Neptungras erreicht sogar ein Alter von über 1.000 Jahren.
Seegras wächst bei guten Lichtverhältnissen bis in eine Tiefe von 17 Metern.
Seegras-Blätter werden bis zu 2 Meter lang und dämpfen damit die Wellenenergie, was sogar Meeresströmungen verlangsamt.
Auf 1.000 Quadratmetern Seegraswiese leben schätzungsweise 10.000 Fische und 12,5 Millionen wirbellose Tiere.
Seit 1980 gehen jedes Jahr 7 Prozent der Seegraswiesen auf der Welt verloren.
Klima: Wie viel CO₂ speichert Seegras?
Seegraswiesen sind wichtige „natürliche Kostenstoffsenken“. Pro Quadratmeter speichert das Echte Seegras (Zostera marina) im Durchschnitt 2,7 Kilogramm Kohlenstoff in den oberen 25 Zentimetern des Meeresbodens – in der Ostsee sogar bis zu 10,7 Kilogramm. Die Forscher halten Spitzenwerte von bis zu 26,5 Kilogramm Kohlenstoff pro Quadratmeter Seegras für möglich. Durch die Einlagerung von Kohlenstoff wird auch das Treibhausgas Kohlendioxid abgebaut. Das funktioniert so:
Seegräser betreiben Photosynthese. Sie nutzen das in Wasser gelöste Kohlendioxid (CO₂) und spalten es in Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O₂) auf. Der Kohlenstoff wird als Biomasse (Zucker) eingelagert – zum Beispiel in Blättern und Wurzeln. Dadurch wächst die Pflanze. Der Sauerstoff wird in das umliegende Wasser abgegeben. Es geht aber noch weiter!

Seegraswiesen speichern Kohlenstoff nicht nur in lebenden Pflanzen, sondern auch in abgestorbener Biomasse. Da totes Pflanzenmaterial unter Wasser aufgrund des fehlenden Sauerstoffs (keine Luftzufuhr) nicht verrottet, sinkt es auf den Meeresboden und bleibt dort liegen. Daraus wächst mit den Jahren eine immer dicker werdende Seegrasmatte – ähnlich wie der Torfboden im Moor.
Wichtig: Wenn es heißt, dass Pflanzen CO₂ speichern, ist eigentlich die Einlagerung von Kohlenstoff gemeint, bei der Kohlendioxid aufgespalten wird.
Seegraswiesen nehmen je nach Standort pro Quadratmeter bis zu 50-mal mehr CO₂ auf als ein Quadratmeter Wald auf dem Land. Unsere Ozeane absorbieren auf vielen verschiedenen Wegen jedes Jahr enorme Mengen an Kohlendioxid – 10 Prozent davon allein durch Seegras.
Hier erfährst du mehr: „Wie viel CO₂ speichern unsere Meere & Ozeane?“
Das alles hat jedoch eine Kehrseite. Wenn das Seegras verschwindet, wird all das zuvor gespeicherte CO₂ wieder freigesetzt. Gelangen die Wasserpflanzen an die Oberfläche, kommen sie mit Sauerstoff in Berührung. Dadurch beginnen sie zu verrotten, wodurch Kohlendioxid entsteht. Seegras speichert also nur Treibhausgase, solange es intakt unter Wasser bleibt. Der Verlust aller Seegraswiesen könnte Schätzungen zufolge 10 Gigatonnen CO₂ ausstoßen.
Seegräser sind auf der ganzen Welt bedroht.
In den 1930er Jahren starben etwa 90 Prozent der gesamten Seegraswiesen an den Atlantikküsten Europas und Nordamerikas an einem Schleimpilz („Wasting Disease“). Niederländische Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass zu wenig Sonnenlicht der Hauptgrund für dieses Massensterben gewesen ist. Durch die mangelnde Sonnenstrahlung wuchsen die Seegräser schlecht, da sie weniger Photosynthese betrieben. Infolgedessen konnten sich Pilze bzw. Bakterien besser von ihnen ernähren – besonders in schattigen Gebieten wird das häufiger beobachtet. Die Forscher kamen sogar zu dem Ergebnis, dass die Seegräser auch ohne Schleimpilz an der fehlenden Sonnenstrahlung eingegangen wären. Bis heute haben sich die Seegrasbestände nicht erholt.
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Darüber hinaus gefährdet der Klimawandel das Wachstum von Seegras. Steigende Wassertemperaturen setzen den Pflanzen zu. Zusammen mit Nährstoffeinträgen durch Düngemittel aus der Landwirtschaft begünstigt das warme Wasser Algenblüten (vgl. Todeszonen), mit denen das Seegras um Licht konkurriert. Außerdem gedeihen Seegräser vorzugsweise in nährstoffarmen Gebieten. Pestizide sind eine zusätzliche Gefahr für die Wasserpflanzen.

Hinzu kommt mechanische Zerstörung durch den Menschen. Küstennahe Schifffahrt, Schleppnetzfischerei und Bauprojekte bedrohen die weltweiten Seegrasbestände. Auch eingeschleppte Arten wie die Grünalge Caulerpa taxifolia verdrängen heimischen Seegräser.
Klimaschutz: 10 Wege, wie das Wachstum von Seegras gefördert werden kann
Es gibt eine gute Nachricht! Seegraswiesen lassen sich „aufforsten“ und aktiv schützen. Und das käme vielen zugute. Nicht nur dem Klima, sondern auch ganzen Ökosystemen mit zahlreichen Lebensformen. Das sind 10 Möglichkeiten, wie das Wachstum von Seegraswiesen verbessert werden kann:
Junge Seegraspflanzen gezielt in geeigneten Meeresböden einsetzen (wie Aufforstung an Land)
Seegras-Samen in sandige, flache Küstengebiete einpflanzen
Biologisch abbaubare Matten oder andere Trägermaterialien verwenden, um die Ansiedlung zu erleichtern und vor Erosion zu schützen
Reduktion von Düngemitteln und Pestiziden in der Landwirtschaft
Verbesserung von Kläranlagen
Sedimentaufwirbelung durch Einschränkung motorisierter Boote und Grundschleppnetz-Fischerei verhindern
Einrichtung von Ankerverboten („No-Anchor-Zones“)
Wiederansiedlung von Herbivoren und Filtrierern – Seeigel fressen konkurrierende Algen und Muscheln filtern Wasser, was das Seegrasmilieu stabilisieren kann
Regelmäßige Kontrolle des Algenwuchses
Genetische Vielfalt durch die Pflanzung verschiedener Seegrasarten erhöhen, um Stressresilienz gegen Hitze und Krankheiten zu fördern
Hier kannst du dir in einem Video ansehen, wie Kieler Forscher Seegraswiesen pflanzen:
Klimawandel: 3 wertvolle Büchertipps
Quellen bzw. weiterführende Links:
(1) Netherlands Journal of Sea Research: „Temperature, salinity, insolation and wasting disease of eelgrass (Zostera marina L.) in the Dutch Wadden Sea in the 1930's“
(2) Scientific Reports: „Seagrass (Posidonia oceanica) seedlings in a high-CO2 world: from physiology to herbivory“
(3) Nature Climate Change: „Mediterranean seagrass vulnerable to regional climate warming“
(4) Nature Climate Change: „A marine heatwave drives massive losses from the world’s largest seagrass carbon stocks“
(5) Deutschlandfunk: „Seegrassterben an den Küsten“
(6) Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (Schleswig-Holstein): „Das Große Seegras Zostera marina“
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